Der Pittbull in mir
Letztes Jahr gab es eine Zeit, in der ich sehr viel gearbeitet habe. Ich hatte das Gefühl, dass ich sehr getrieben war und gleichzeitig war ich sehr müde.
Durch dieses ständige Getriebensein, war ich in Gedanken zeitweise sehr ungehalten und in der U-Bahn mutierte ich regelmäßig zum Gedanken-Pittbull. Ständig kritisierte ich alles und jeden um mich herum – und mich selbst am meisten. Eines Abends bemerkte ich mein gedankliches Verhalten anderen gegenüber und fragte mich: „Oh Gott, wo ist denn dein Mitgefühl zu deinen Mitmenschen hin?“ Ich versuchte, geduldig darüber zu meditieren und weich zu atmen. Ich wurde etwas ruhiger, doch dies hielt nur für ein paar Tage an, und Schwupps, war ich wieder in meiner Pittbull-Gedanken-Aktion.
Ich fand das selbst sehr unangenehm und wollte es unbedingt ändern, und ich wusste, ich kann das nur in mir selbst ändern – aber wie?
Ich fragte mich, was denn Mitgefühl eigentlich ist?
Die Definition von Mitgefühl ist der Wunsch, dass andere von Leiden befreit sind.
Dieses Mitgefühl existiert, wenn man mit jemandem fühlt und den Wunsch verspürt, ihm zu helfen.
Häufig wird Mitgefühl als Mitleid missverstanden. Mitleid lässt uns nur mit-leiden und erlaubt uns nicht, eine Position zu beziehen, die es uns ermöglicht, eine notwendige Hilfe für die Situation, den Menschen oder das Tier zu sein.
Mitgefühl ist also ein selbstloses, nicht-anhaftendes Gefühl, das der empfindenden Person eine Dringlichkeit zum Helfen verleiht.
Wie innen so auch außen.
Gehen wir mal davon aus, dass alles in uns einen Gegenpol auch im Außen hat. Dann bedeutet das: wenn ich in meinem Inneren etwas ändere, dann hat das unweigerlich eine Re-Aktion im Außen.
Nun, wenn ich also kein Mitgefühl für andere habe, dann habe ich es auch nicht für mich selbst?!
„Nur wer gegen sich selbst milde ist, kann es auch anderen gegenüber sein.“ – Anatole France
Wow, gibt es denn so etwas? Selbstmitgefühl -> JA!
Der innere Kritiker
Ja, es gibt Selbstmitgefühl, doch zeigt es sich oft in der Form von Selbstkritik an sich selbst, und wir sind wahrlich nicht zimperlich mit uns selbst. Wir sind Weltmeister im Aufzählen von Fehlern und Unzulänglichkeiten, wenn es um uns selbst geht. Die simple Aktion, sich vor dem Spiegel zu betrachten, führt dazu, dass wir in rasender Schnelligkeit aufzählen, was wir an uns selbst nicht mögen… die Haut zu blass… zu schrumpelig… der Bauch zu dick… zu dünn, nicht muskulös genug… der Körper zu klein… zu groß… die Beine zu krumm… usw.
Wir vergleichen uns immer wieder mit anderen Menschen, von denen wir glauben, dass besser oder schöner oder erfolgreicher sind als wir. Wenn wir Fehler machen, reagieren wir oft unverzeihlich mit uns selbst, aber mit anderen sind wir meist doch großzügiger. Dann streuen wir auch noch Salz in die Wunde und reden uns ein, dass wir blöd sind, minderwertig oder sogar Versager sind.
Der Diamant in der Tasche
Und hier ist genau der Diamant in der Tasche! Hier können wir ansetzen. Wenn ich etwas verändern möchte, versuche ich nicht den Umstand, sondern den Ursprung zu verändern.
Wenn der innere Kritiker so laut ist, bräuchte es nicht genau hier eine verständnisvolle Geste oder Handlung? Eine Stimme der freundlichen Nachsicht… eine Hand auf unserem Rücken, die uns tröstet und Geduld mit uns hat?
In drei Schritten Selbstmitgefühl entwickeln
Selbstmitgefühl zu entwickeln, geschieht nicht einfach über Nacht. Wir dürfen in Schritten auf uns selbst zugehen. Freundlich und nachsichtig, geduldig und aufmerksam, ruhig und klar.
1. Erkenne den inneren Kritiker
Es wird uns vielleicht nicht sehr leicht fallen, denn gerade am Anfang greifen unsere Gewohnheiten und diese sind oftmals der Grund, dass wir uns kritisieren. Manchmal ist es auch, dass der innere Kritiker sich meldet, der uns einreden will, dass dieses Nett-mit-sich-sein doch alles nur schlimmer macht. Selbstmitgefühl braucht also Geduld und ein Training mit uns selbst. Nimm erst einmal den Kritiker wahr und versuche ihn nicht zu verändern oder zu ignorieren. Agiere ihn auch nicht aus! Beobachte, wann und wie er sich meldet.
2. Verbindung zu deinem inneren Selbst
Wenn der innere Kritiker aufkommt und du harsche Worte gegen dich selbst verwendest, leg eine Hand auf deinen Herzraum. Nimm den Kontakt und die Wärme deiner Hand auf deinem Brustraum wahr. Wann immer eine Antwort in deinem Kopf oder ein weiterer Kritikpunkt aufkommt, spüre deine Hand und den Kontakt. Das ist dein mitfühlender Kontaktpunkt. Es kann sein, dass du dir die ersten Tage – gefühlt – jede Minute die Hand auf dein Herz legst. Das ist einfach ein Zeichen, dass du noch geduldiger und nachsichtiger im Umgang mit dir selbst sein darfst. Lass dir Zeit! Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut und doch ist es der kontinuierliche Tropfen, der den Stein höhlt.
3. Der Weg des Selbstmitgefühls
Der nächste Schritt, den du jetzt weitergehen darfst, ist, dass du beginnst, mitfühlende Worte für dich selbst zu finden. Lade dich selbst ein, einen mitfühlenden und nachsichtigen Umgang auf der mentalen Ebene zu vertiefen. Werde verständnisvoll mit dir und den herausfordernden Situationen. Nutze Worte, die dich unterstützen und tragen. Vielleicht musst du dir in einer ruhigen Minute darüber erst einmal Gedanken machen, was für dich die „passenden“ Worte sind. Worte, die dich tragen, unterstützen und motivieren, diesen Weg des Selbstmitgefühls weiterzugehen. Wo wir den Schritt des körperlichen Gegenmittels im zweiten Schritt gegangen sind, gehen wir jetzt den weiteren Schritt auf der mentalen Ebene. Dieser mag fast unmöglich erscheinen, doch auch hier brauchst du Zeit, Geduld und Achtsamkeit mit dir selbst.
Auch wenn das scheinbar ein Rezept oder ein Aspirin zu sein scheint, die Veränderung ist nicht von heute auf morgen vollbracht. Empfehlenswert ist es, sich mit jeden Schritt erst einmal länger zu beschäftigen und ggf. Notizen machen, denn meistens erkennen wir unsere Erfolge im Rückblick besser. Vielleicht ist es nötig pro Schritt eine Woche oder mehr einzukalkulieren. Setze deinen Zeitrahmen fest und bleibe dabei.
Lese deine Notizen von Zeit zu Zeit nach und reflektiere darüber, manchmal gehen die Fortschritte schneller als man denkt.
Ich wünsche dir viel Freude, Leichtigkeit und gutes Gelingen.
Wie gelingt es dir Selbstmitgefühl zu entwickeln?
Was sind deine Herausforderungen?
Ich freue mich auf euch und eure Nachrichten!
Liebe Grüße
Wolfgang
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